S.Y.P.H. – 4.LP
1976 führen Uwe Jahnke und ich nach Weilerswist westlich von Köln um dort in einem alten Kino, dem Proberaum von CAN, ein Interview mit der Band für eine Schülerzeitung zu machen.
Ich war sicherlich mehr als einfach nur aufgeregt, als wir diesen heiligen Ort betraten.
Hier war es, das „Innerspace“, das Studio schlechthin, hier kam die spannendste Musik aus Deutschland her, hier hatten CAN fast alle ihre Platten aufgenommen.
Dies war ein geheimer Ort, ein privater Ort, eine heilige Halle, ein Tempel fast.
Ausgeschmückt mit handgearbeiteten Wandbehängen, welche diskret beleuchtet diesem Raum fast schon einen orientalischen Charakter gaben.
Wissend welche Bedeutung gerade der „Raum“ in der Musik von CAN hatte, fühlte ich mich hier direkt heimisch. Hier lag CAN in der Luft.
In der folgenden Zeit hielten wir weiterhin Kontakt zu CAN und besuchten so auch öfter Holger Czukay in seinem Privat-Studio in der Kölner Innenstadt.
Dies fiel genau in die Zeit, als Holger sein Schlüsselwerk „Movies“ erschuf.
Mit der Schere und mit Rasierklingen, mit 8-10 großen Bandmaschinen,
unendliche vielen Schnipseln voller musikalischer Kleinstereignisse und dem Willen
daraus die Musik wieder neu zusammenzusetzen, da war Holger in seinem Element.
Für mich war das die wichtigste Lehre für meine zukünftige Leidenschaft
zum Filmschnitt, Holger wusste auch den kleinsten Details Aufmerksamkeit zu geben.
Immer wieder spielten wir Holger unsere ersten Aufnahmen von S.Y.P.H. stolz vor
und hörten gelehrig zu, wenn er diese kritisierte. Uns war klar, dass wir nicht in der
Liga von CAN spielten, aber Holger nahm sich immer wieder Zeit und hörte sich alles an,
wir hatten einfach ein sehr freundschaftliches Verhältnis.
Dann platzten wir eines Tages im Februar 1980 völlig überraschend mit unserer
ersten LP ins Haus – und direkt mit der Anfrage, ob wir denn nicht die 2. LP
im CAN-Studio, im „Innerspace“ aufnehmen könnten. Und, ob er denn
der Produzent sein könne und das Ganze bereits 4 Wochen später starten könne.
Das funktionierte, er willigte ein, er war gespannt, was wir machen werden.
So fielen wir ins „Innerspace“ ein, eine laut schrillende Punkband im
privaten Aufnahmeraum von CAN. Wir wollten unseren Musikstil entwickeln,
verändern, Neuland entdecken, aus der Improvisation heraus Stücke formen.
Wir wollten weg von den Hauruck-Nummern, hin zu dem etwas Neuem.
Jojo am Bass, Uli am Schlagzeug, Uwe an der Gitarre – und ich an allem,
was sich so gerade fand. Holger schickte die Signale durch die im Raum verteilten
Lautsprecher und nahm vieles mit mehreren Raum-Mikros auf. Die meisten Aufnahmen
waren somit live, lediglich vereinzelte Overdubs wurden separat aufgezeichnet.
Was wir damals machten, wussten wir wahrscheinlich gar nicht so genau.
Nach 5 Tagen waren die Studio-Tage vorbei und wir fuhren nach Hause.
Holger sagte, er melde sich in ca. 6 Wochen und spiele uns dann unsere neue LP vor.
Das passierte dann in Düsseldorf, in der Wohnung von Carmen Knoebel.
Holger stellte eine Zwei-Spur-Maschine auf den Tisch und wir alle lauschten gespannt.
Die neue S.Y.P.H.-LP hatte 3 Stücke auf Seite 1 und ein Stück auf Seite 2.
Die Meinungen waren extrem geteilt, ich mochte die Platte sehr und empfand, dass Holger sich unglaublich in das Material vertieft hatte, manche Schnitte übertrafen in ihrem Witz sogar die besten von „Movies“.
Ich empfand es als Ehre, dass Holger sich unseren Aufnahmen mit derselben Liebe wie zu seinen eigenen hingab.
Aber es gab auch die gegenteilige Meinung. Das ist alles zu verspielt, das ist nicht mehr S.Y.P.H., das kann man so jetzt nicht veröffentlichen.
Das entspricht nicht der Band, außerdem kann die Band das nicht live reproduzieren.
Dieser lange und hitzige Abend kam dann zu einem völlig überraschenden Ergebnis.
Da besonders das Stück „Little Nemo“ anscheinend nicht zu uns „gehöre“, einigte man sich darauf dieses Stück Holger zu geben – und im Gegenzug noch drei weitere Tage im Studio zu bekommen.
So nahmen wir kurz darauf in drei Tagen alle „Songs“ auf, welche wir noch in
Reserve hatten, einige Outtakes der ersten LP dabei.
So entstand die „neue“ 2. LP, „Pst“, diesmal mit 7 Songs auf Seite 1
und der ursprünglichen Seite 1 nun als Seite 2.
„Pst“ bezieht sich auf das „Innerspace“, es bezieht sich auf Zuhören, auf Ruhe.
Holger verwendete kurz darauf Teile von „Little Nemo“ in seinen Stück
„On the way to the peak of normal“ auf seiner 2. Solo-LP.
Da mir nun aber auch „Little Nemo“ sehr am Herzen lag, bat ich Holger um
die Möglichkeit, dieses vielleicht doch noch zu veröffentlichen.
So trafen wir uns und hörten durch die gesamten Aufnahmen, um noch weitere rettungswürdige Momente auszusuchen.
So entstand 1981 die 4.LP von S.Y.P.H., eine fast instrumentale LP
mit endlos langen Stücken, inmitten der Hochphase des deutschen Punk.
Von einer Band, die es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung gar nicht gab.
Für mich war all dies Punk. Denn S.Y.P.H. machte trotzdem weiter.
Wenn ich nun, nach über 32 Jahren, wieder an die Zeit in Weilerswist zurückdenke, dann sehe ich immer noch den Mann, der im Nachbarsgarten die Erde gräbt, ich sehe die Wandbehänge, ich sehe Uli´s Schlagzeug groß ausgebreitet, ich sehe Congas, Orgeln, Amps, Gitarren, Jojo am Bass, hängende Mikros, Uwe, seine Freundin Andrea, Holger, das Mischpult, die große 24-Spur-Bandmaschine. Ich sehe das Licht im Studio, ich spüre die Atmosphäre. Ich weiß auch noch, wie wir uns oft gestritten haben, besonders Holger und ich – und wie sich dann die Band fast kollektiv hinter Holger stellte, da ich mit meinen queren Ideen oft die reine, wahre Musik belästigte, gar verletzte. Da ich mit meinen Gesangsversuchen oft danebenlag.
Ich sehe und höre dies alles noch.
Harry Rag, Mai 2012
Tracklisting:
Die Deep 1:18
Hänschen Horror 1:11
Lämmerschwanz 1:54
Nachbar 12:39
Satarasch 2:52
Little Nemo 18:03