Epitaph – Danger Man
Anno 1981 stand in Graue nicht alles zum Besten. Das seltsame alte, grün angestrichene Schulgebäude, in dem die Band lebte, hatte sich zum Minenfeld entwickelt. Ein Sprichwort besagt, dass man sich seine Freunde aussuchen kann, nicht aber seine Familie. Und EPITAPH waren wie eine Familie. Man kann zwar weglaufen, aber irgendwie gehört man doch immer dazu, und irgendwie kommt man eines Tages immer zurück. Zum damaligen Zeitpunkt allerdings schien die Kernschmelze unmittelbar bevorzustehen.
Cliff Jackson beschloss, nach Dortmund zurückzukehren – oder irgendwo sonst hin. Hauptsache, es war nicht grün gestrichen und nicht im Nichts. Fritz Randow verhandelte über seine Rückkehr zu seiner alten Band Eloy und nahm ein Studioalbum mit ihr auf. Eloy hatten ihr Hauptquartier in Hannover aufgeschlagen, also blieb er dort bei Heinz Glass wohnen, der an einem Soloalbum werkelte.
Zurück in Dortmund, beschloss Cliff, dass es an der Zeit war, das Line-up der Amerika-Tour, bestehend aus seiner Person, Bernd Kolbe, Klaus Walz und Norbert Panza Lehmann, wieder zusammenzutrommeln.
Panza Lehmann hatte sich rund drei Jahre zuvor verabschiedet und war nach Hamburg aufgebrochen, um die Schlagstöcke für Rudolf Rock und die Schocker zu schwingen, während Bernie Kolbe und Klaus Walz zunächst in Berlin landeten, um mit Karthago auf eine scheinbar endlose Tournee zu gehen. Ihre Zeit bei Karthago endete freundschaftlich, und sie zogen ebenfalls gen Hamburg, wo sie eine Zeitlang mit Jutta Weinhold arbeiteten, die ihre Karriere als Background-Sängerin der Rocklegende Udo Lindenberg begonnen hatte. Bernie erinnert sich daran, dass Juttas Vater Winzer war und immer ein guter Tropfen bereitstand.
Dann kam eines Tages der Anruf von Cliff, und alle machten sich wieder auf den Weg nach Dortmund, der Stadt, in der die EPITAPH – Story ihren Anfang genommen hatte. Bernie brachte ein paar gute Songs aus Hamburg mit und Cliff hatte ebenfalls ein paar im Gepäck, sodass die Zukunft rosig aussah – abgesehen von der Sache mit Klaus Beinen.
Klaus hatte gerade den Kofferraum seines Autos beladen, als ein anderer Fahrer direkt in ihn hinein fuhr. Zwei Produkte der deutschen Automobilindustrie und Klaus mittendrin – es sah nicht so aus als würde er in absehbarer Zeit auf dem Tisch tanzen. Bernie ist heute noch beeindruckt, wie Klaus damals mit seinen schweren Verletzungen zurechtkam. Obwohl er monatelang an Krücken gehen musste, probte Klaus weiter, nur eben im Sitzen.
Ungefähr zu dieser Zeit besuchte Bernie ein Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle, wo ihm der Konzertveranstalter und Manager Klaus Goik über den Weg lief, der dort seine Büros hatte. Cliff war sich nie wirklich sicher, worin Goiks offizielle Verbindung zur Westfalenhalle bestand, aber er war in Shows von Bands wie Foreigner, Michael Jackson und den Rolling Stones involviert gewesen – und verfügte über attraktiv gestaltete Büroräume. Als Klaus Goik erklärte, dass er EPITAPH gern unter seine Fittiche nehmen und managen würde, klang das nach einem sehr guten Angebot.
Aufgrund des Erfolges des früheren EPITAPH-Line-ups verfügte die Band immer noch über gute Kontakte zu Konzertveranstaltern in Süddeutschland, einem Netzwerk von Leuten, die mehr als begeistert waren, EPITAPH Gigs zu ermöglichen. Die Kommunikation zwischen ihnen und dem neuen Manager gestaltete sich zwar nicht ganz so wie erhofft, aber Goik verschaffte den Musikern zumindest einen Plattenvertrag mit einem kleinen Label namens Rockport Records.
Dies geschah ungefähr zu der Zeit, als die Neue Deutsche Welle mit Gruppen wie Extrabreit und Nena ihren Höhepunkt erreichte – was bedeutete, dass nicht übermäßig viel Nachfrage nach EPITAPH bestand. Der Plattenvertrag kam also gerade recht, und EPITAPH wurden in ein Studio in Hiltpoltstein eingebucht, einer kleinen ländlichen Ansiedlung etwa dreißig Kilometer von Nürnberg entfernt. Hiltpoltstein war einer jener Orte, in denen die Straßenbeleuchtung um Mitternacht gelöscht wird, wodurch der Heimweg ins Hotel zu einem gefährlichen Unterfangen geriet. Alle sorgten sich natürlich insbesondere um Klaus, der sich gerade von seinen Verletzungen erholte und große Schwierigkeiten hatte, sich am Straßenrand entlang zu tasten. Als sie endlich heil im Hotel angekommen waren, erwarteten sie dort die größten, dicksten Federbetten, die man sich vorstellen kann, eine Heizung, die sich nicht abstellen ließ, sowie ein hölzernes Kruzifix über jedem Bett.
Obwohl in gewisser Weise sehr idyllisch, erwies sich Hiltpoltstein als nicht unbedingt inspirierend für eine Rockband. Doch inzwischen waren EPITAPH an schwierige Situationen gewöhnt, und Bernie erinnert sich, dass der Toningenieur zwar nicht ganz vom erhofften Kaliber war, die Band jedoch über genügend Erfahrung verfügte um ihm dabei zu helfen, ein für ihr Gefühl ziemlich gutes, wenn auch nur vierunddreißig Minuten langes Album zustande zu bringen – abgesehen von der Sache mit dem Cover.
Bekanntlich hat die Plattenfirma immer das letzte Wort beim Coverentwurf. Rockport wusste, dass EPITAPH nicht zur Neuen Deutschen Welle gehörten – und ging offenbar davon aus, dass Rock gleichbedeutend mit Lederjacke und Nieten ist. Nicht unbedingt das Image, das EPITAPH selbst oder ihre Fans von der Band hatten.
Nach ihrer Rückkehr aus dem Plattenstudio organisierte Goik ein paar Gigs für die Band, einschließlich einer kleinen Tour mit ZZ Top und Joan Jett and the Blackhearts. Als sie im Würzburger Kickers-Stadion auftraten und die Garderobe neben ZZ Top bezogen, bekam Cliff Besuch von einem der ZZ Top-Roadies, der schwärmte: „Ihr Jungs seid richtig gut, ihr solltet mit uns auf Tour in die Staaten kommen und backstage spielen – da sind immer mindestens 300 Leute!“
Dafür dass EPITAPH für diese von Mama Concerts organisierten Shows nicht bezahlt wurde, kamen sie beim Publikum wirklich gut an.
Cliff erinnert sich, dass er eines Abends von der Bühne kam und von Mama-Concerts-Chef Marcel Avram beiseite genommen wurde, der ihm vor lauter Begeisterung tausend Mark, was damals eine Menge Geld war, in die Hand drückte. Die Freude der Band wurde allerdings ein wenig gedämpft, als Avram hinzufügte, dass er bei einem Bordellbesuch mehr ausgeben würde.
Goik fand es nicht einfach, Gigs für EPITAPH zu buchen und beklagte sich, dass es leichter sei, eine Michael-Jackson-Show einzustielen. Wie sich herausstellen sollte, brauchte er sich kurze Zeit später nicht länger zu bemühen.
Um im Sauerland Plakate aufzuhängen (die nichts mit EPITAPH zu tun hatten), benötigte Goik einen Bus und ein paar Plakatkleber. Er rief die EPITAPH-Roadcrew an, die Platz für Plakate und Kleister schuf, indem sie das komplette im Bus befindliche Bandequipment in einem Lagerraum in der Westfalenhalle bunkerte. Bei ihrer Rückkehr stellte sich heraus, dass ein oder mehrere Unbekannte die gesamte Ausrüstung gestohlen hatten. „Das war das Ende dieser Episode“, sagt Cliff, „also beschlossen wir, das Handtuch zu werfen.“
So ging Danger Man also als letztes von der alten EPITAPH-Besetzung aufgenommenes Album in die Geschichte ein. Da es vom Original-Line-up der Amerika-Tour eingespielt wurde, klingt ein gewisses amerikanisches Flair mit. An die Stelle der alten Krautrock-Elemente war mittelschwerer Rock im US-Stil getreten.
Nach diversen Abenteuern mit Kingdom und Domain sowie Intermezzi mit anderen Bands fanden sich EPITAPH im Jahr 2000 wieder zusammen.
Dieses Album enthält die beiden Bonustracks Good Times und eine Live-Version von Ain’t No Liar. Good Times ist die einzige Coverversion in der Karriere von EPITAPH. Im Original von der australischen Band The Easybeats eingespielt, deren Songwriter und Rhythmusgitarrist George Young der große Bruder von AC/DC-Gitarrist Angus Young ist, wurde die EPITAPH-Version in den Hermes Studios in Kamen an einem Tag aufgenommen und abgemischt. Aufgrund des Heavy Rock-Arrangements ist in dieser Version Ralf Bloch am Schlagzeug zu hören. Das Band ging verloren, wurde jedoch 2000 auf einem Dachboden in Dortmund gefunden und von Cliff und Roger Wahlmann remastered.
Der zweite Bonustrack ist eine Live-Version von Ain’t No Liar, mitgeschnitten am 19. November 2011 im Musiktheater Piano in Dortmund.
Diese funkige, überarbeitete Version des EPITAPH-Live-Favoriten enthält auch einen Teil von Long Live The Children, einfach um zu zeigen, dass EPITAPH auch nach vierzig Jahren on the road immer noch eine Macht sind, mit der man rechnen muss.
Alistair A. Tarwid / Übersetzung: Angela Nescerry
Tracklisting:
1. Long Live The Children
2. Heartless
3. High Wire
4. Snake Charmer
5. Small Town Girl
6. Ain’t No Liar
7. Let Me Know
8. The Daughter
Bonus Tracks:
9. Good Times
10. Ain’t No Liar (Live)